heute vor zwei Jahren hatten wir Freie Demokraten allen Grund zum Feiern. Nach vier Jahren unfreiwilligen außerparlamentarischen Weiterbildungsurlaubs, wie ich es einmal nannte, kehrten wir in den Bundestag zurück. Seitdem gibt es wieder eine liberale Stimme im Parlament – genau genommen sind es sogar 80 liberale Stimmen. Viele von Ihnen werden sich noch daran erinnern, wie viel Mut es während der außerparlamentarischen Opposition manchmal kostete, sich zu den Freien Demokraten zu bekennen. Diese Zeiten sind vorbei. Trotzdem müssen wir auch jetzt noch durch manchen Sturm gehen.
Die Hälfte der Legislaturperiode ist vorbei. Die nächste reguläre Bundestagswahl steht in zwei Jahren an. Die Aufbauarbeit ist geglückt. Die Fraktion der Freien Demokraten im Bundestag versteht sich als konstruktive Opposition. Mit Mut und Leidenschaft übersetzt sie liberale Überzeugungen in politische Arbeit: 1.399 kleine und große Anfragen an die Bundesregierung, 270 Anträge und 21 Gesetzesentwürfe wurden eingebracht sowie eine Grundgesetzänderung zur Reform des Bildungsföderalismus mit den Stimmen der FDP-Fraktion auf den Weg gebracht.
Nach wie vor geht es uns um Trendwenden für unser Land. Wir legen den Finger in die Wunde, damit unser Land neue Chancen erhält. Ich bin mir sicher: Die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags hat auch damit zu tun, dass wir beharrlich dran geblieben sind. Natürlich gehen uns die Pläne der Regierung nicht weit genug: Der Soli wird ab dem kommenden Jahr verfassungswidrig sein. Er muss komplett abgeschafft werden, um Bürgern und Mittelstand wieder Luft zum Atmen zu verschaffen. Zur Not werden wir dafür bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Deutschland ist ein starkes Land in einer Welt des Umbruchs. Noch haben wir alle Chancen, diesen Umbruch positiv zu gestalten. Doch wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir alle spüren es: Das Vertrauen in die freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung schwindet. Von der Wohnungspolitik über Klimaplanwirtschaft bis zur Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung kehrt ein überwunden geglaubter Kollektivismus zurück. Autoritäre Kräfte und mit ihnen Abschottung, Militarismus und Protektionismus gewinnen an Macht. Diskussionen werden auch bei uns zunehmend zwischen extremen Positionen geführt, technische Argumente werden moralisch zurückgewiesen und symbolische Forderungen siegen.
Deutschland muss endlich Gestalter von Veränderung werden – und nicht Objekt. Unsere Gesellschaft ist klare Entscheidungen nach fast 14 Jahren Regierung unter Angela Merkel nicht mehr gewohnt. Wir brauchen aber Richtungsentscheidungen. Wie wollen wir Zuwanderung gestalten? Wie sichern wir unsere Wettbewerbsfähigkeit? Wie organisieren wir unseren Sozialstaat neu? Hinsichtlich der Inhalte darf und soll gerungen werden. Aber alle müssen sich an Regeln im Umgang miteinander halten. Wir können uns die Debatten nicht von den politischen Rändern bestimmen lassen. In den zunehmend lauter gewordenen Debatten braucht es Zeit, aber auch Konzentration und klaren Fokus, um thematisch erkennbar zu sein. Wir arbeiten in der ganzen Breite, aber folgende Kompetenzthemen schärfen unser Profil:
- Über Jahre konzentrierte sich die Politik auf Verteilung und Verbrauch des Wohlstands. Unser Land wurde auf Verschleiß gefahren. Das wollen wir ändern. Deshalb arbeiten wir an den entscheidenden Hebeln der Steuer- und der Arbeitsmarkt-, der Technologie- und der Handelspolitik, um den Menschen das wirtschaftliche Vorankommen zu erleichtern und die Standortbedingungen zu verbessern. Wir halten dabei an den Gedanken von Eigentum und fairem Wettbewerb fest – der Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft.
- Wir machen die digitale Revolution zum Treiber des wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritts. Unsere Vision ist „sm@rt germany“. Die Digitalisierung verändert den Alltag, schafft neues Wissen und erhöht die Produktivität. Sie ist eine Chance, den alten Gegensatz von Kapital und Arbeit zu überwinden. Denn sie stärkt Kreativität und Selbstbestimmung. Wir müssen dafür nun die Rahmenbedingungen setzen.
- Weltbeste Bildung ist unser „Mondfahrtprojekt“. Wir trauen dem Menschen etwas zu. Wir sehen seine Kreativität und seinen Willen zu Leistung und Aufstieg. Wir sind der Überzeugung: Gute Schulen und Hochschulen sind die beste Sozialpolitik für unser Land. Wir wissen, dass Menschen unterschiedlich sind - aber alle sollen gleiche Chancen haben. Ihr Bildungserfolg darf nicht länger vom Elternhaus bestimmt sein.
- Der Klimaschutz ist die wohl größte globale Herausforderung unserer Zeit. Unsere Antwort darauf heißt: Zero CO2. Um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, wollen wir einen strengen CO2-Deckel einführen, der von Jahr zu Jahr verbindlich weiter sinkt. Wir deckeln den CO2-Ausstoß und machen so Druck für den Wandel. Mit innovativen Technologien und weltverändernden Ideen. CO2 vermeiden, nutzen, speichern – so gelingt der Klimaschutz. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.
- Steuerung von Migration und gelingende Integration sind ein Beitrag zur Überwindung der Spaltung unserer Gesellschaft. Die Organisation von Zuwanderung nach Deutschland muss verbessert werden. Wir brauchen Klarheit, was den jeweiligen Aufenthaltsstatus einer Person betrifft. Wir wollen, dass Menschen mit einer dauerhaften Bleibeperspektive schneller Rechtssicherheit über ihren Status erhalten. Gleichzeitig muss der Aufenthalt von Menschen ohne dauerhafte Bleibeperspektive schneller und konsequenter beendet werden.
Die Hälfte der Legislaturperiode ist vorbei. Die erste Aufbauarbeit ist abgeschlossen, aber fertig sind wir nicht. Viel bleibt zu tun, um unsere Konzepte fachlich zu vertiefen und mehr unserer exzellenten Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker bekannt zu machen. Natürlich sind uns auch Fehler unterlaufen. Das ist nicht tragisch - nur lernen muss man aus Fehlern. Diesen Anspruch haben wir.
Nach wie vor aber bin ich überzeugt davon, dass eine Entscheidung zu Beginn der Wahlperiode richtig war: Die Sondierungsgespräche über eine Jamaika-Koalition nicht fortzuführen. In der damaligen Konstellation wäre ein dringend notwendiges Update für Deutschland nicht möglich gewesen. Von unseren Verhandlungspartnern wurden die Zeichen der Zeit damals nicht erkannt. Im Gegenteil: Deutschland hätte bei vielen Dingen den Rückwärtsgang einlegen müssen. Gegenüber unseren Wählerinnen und Wählern hätten wir unser Wort brechen müssen. Ich weiß nicht, ob es die Voraussetzungen für ein echtes Erneuerungsprojekt in der Zukunft geben wird. Die FDP hat aber stets signalisiert, dass sie gesprächsbereit ist, wenn ein faires Miteinander möglich scheint und inhaltliche Trendwenden für unser Land durchsetzbar sind.
Wir müssen Deutschland fit machen und uns auf unsere Stärken besinnen. Uns Freie Demokraten verbindet die Liebe zur Freiheit, die Leidenschaft für Vernunft und die Lust auf Zukunft. Damit stehen wir manchmal gegen den Trend. Aber so sind wir eben. Wir brauchen eine Politik, die mit Maß und Mitte die Herausforderungen anpackt.
Dafür werden wir auch weiter kämpfen.
Mit freundlichen Grüßen,